„Forum Migration“: Vermessungen des Arbeitsfeldes, Darstellungen exemplarischer Praxis, kommunikative Reflexion
Einmal jährlich lädt die Otto Benecke Stiftung e.V. (OBS) die Fachöffentlichkeit zu aktuellem Austausch und vorausschauender Analyse ein. Jeweils mehrere hundert Expertinnen und Experten und Interessierte des Arbeitsfelds Migration und Integration aus Wissenschaft, Politik und Praxis versammeln sich auf dem „Forum Migration“, um miteinander ins Gespräch zu kommen, Entwicklungen zu diskutieren, Folgen getroffener Entscheidungen auszuleuchten und Beispiele guter Praxis kennenzulernen. Das „Forum Migration“ konfrontiert die Wissensdomäne der Politik mit derjenigen der Wissenschaft und beide mit der Domäne der Praxis. Orientierungen werden überprüft, neue Handlungsmöglichkeiten ausgemacht.“, wie Prof. Dr. Hans H. Reich, der Initiator unserer Veranstaltungsreihe, in Heft 15 unserer Beiträge der Akademie für Migration und Integration 2015 schrieb.
1995 feierte die OBS ihr dreißigjähriges Bestehen. Aus diesem Anlass sollte auf einer öffentlichen Veranstaltung sichtbar gemacht werden, welch breites Themenspektrum die Arbeit der Stiftung repräsentiert. Den Rahmen dieser ersten Veranstaltung bildete das Thema „Nationalstaatlichkeit, Migration und Integration“, auf dem Fragen nach den grundlegenden zeitgeschichtlichen Prozessen, die das Arbeitsfeld konstituieren, diskutiert wurden.
Damit war das „Forum Migration“ aus der Taufe gehoben. Seine Themen hatten bei den Forumsbesucherinnen und -besuchern, aber auch in der weiteren Öffentlichkeit Interesse gefunden, so dass die geplante Fortführung sinnvoll erschien. Seither hat die OBS 25 Foren durchgeführt.
Übergreifende Aspekte
Die Themen unserer Foren werden bestimmt von aktuellen Entwicklungen und Ereignissen: Es geht um absehbare Entwicklungen der Zuwanderung, um die Partizipation von Menschen mit Migrationsgeschichte, um den Zusammenhalt im Einwanderungsland. Ziele sind Denkanstöße, Förderung des Dialogs zwischen den Beteiligten im Bereich Migration, Qualifizierung, Integration. Es ist aber auch erkennbar, dass sich Fragestellungen wiederholen, die Verbindungen zwischen den Foren schaffen und so dazu beitragen, der Veranstaltungsreihe als ganzer ein Gesicht zu geben. Gefragt wird nach den absehbaren Entwicklungen der Zuwanderung und deren Ursachen, nach dem Handeln der Zuwanderer im Raum der Einwanderungsgesellschaft und nach den Veränderungen der Gesellschaft, in der Zuwanderer und länger Ansässige zusammenleben. Gefragt wird nach Empfehlungen für politisches, soziales und pädagogisches Handeln.
Die Frage nach dem durch Zuwanderung bewirkten und gekennzeichneten gesellschaftlichen Zustand wurde zu einem der durchgängigen Aspekte des „Forums Migration“. In ihrer einfachsten Form beinhaltet diese Frage nur die Mahnung, Migration und Integration nicht als vorübergehende Erscheinungen und zeitbegrenzte Herausforderung abzutun, sondern als dauerhaftes Phänomen und politisch zu gestaltende Aufgabe ernst zu nehmen. Diese Position wurde auf dem „Forum Migration“ seit je vertreten. Bei einem etwas weitergehenden Verständnis kommt die Frage nach der Bereitschaft hinzu, die Einwanderer als Handelnde in der Einwanderungsgesellschaft zu erkennen und ihre Selbsthilfepotenziale wahrzunehmen, wie es das fünfte Forum im Hinblick auf Spracherwerb, Schule und Ausbildung, Beruf und Existenzgründung geleistet hat. Dabei soll Selbsthilfe nicht als bloße Zuarbeit bei der Erledigung sozialpolitischer Aufgaben der Einwanderungsgesellschaft verstanden werden, sondern als Handeln in eigener Verantwortung.
Struktur und Funktion
Rückblickend betrachtet, zeigt sich das „Forum Migration“ über die Jahre und die wechselnden Themen hinweg als wiederkehrende Realisierung einer gleichmäßigen inneren Form: Die Beiträge der Tagungen beziehen sich auf ein gemeinsames Rahmenthema und auf jedem Forum kommen Vertreterinnen und Vertreter der Handlungsfelder Politik, Wissenschaft und Praxis in charakteristischen Formaten zu Wort. Durchgehend werden aktuelle Darstellungen mit vertiefter Analyse verbunden. Durchgehend kommen nicht nur Einheimische, sondern auch Menschen mit Migrationsgeschichte zu Wort. Die Grundsatzreferate sind überwiegend, wenn auch nicht ausschließlich, Sache der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wobei Interdisziplinarität eine Selbstverständlichkeit ist. Vertreten sind Soziologen, Politikwissenschaftler, Historiker, Bildungs- und Erziehungswissenschaftler, Bevölkerungs- und Arbeitsmarktwissenschaftler aus Universitäten und Forschungsinstituten. Die politischen Beiträge kommen von Bundes- und Landespolitikerinnen und -politikern, Parlamentariern und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Ministerien. Sie haben die Form von Ansprachen oder Impulsreferaten, vor allem aber von Beiträgen zu Podiumsdiskussionen, bei denen sich die politischen Rednerinnen und Redner unterschiedlicher Couleur gegenüberstehen und/oder mit Vertretern anderer Handlungsfelder Argumente tauschen. Die Praxis stellt sich in Einzelbeiträgen, moderierten Gesprächen, auch Workshops und Talkrunden dar. Dabei können große und kleine Behörden, Wohlfahrtsverbände, Vereine, Selbsthilfegruppen und Einzelpersonen vertreten sein. Auch die OBS nutzt diese Formate, um bei passender Gelegenheit ihre Projekte darzustellen.
Immer ist die OBS als Motor der Integrationsförderung ihrer Zeit voraus: Willkommenskultur leben wir seit 60 Jahren. Wir möchten Zugewanderte in die Lage versetzen, ihre Talente, Fähigkeiten und Kenntnisse einzusetzen. Mit unseren Angeboten ermöglichen wir jungen Menschen den Berufseinstieg in Deutschland. Mehrere Hundertausende Menschen konnten ihre im Herkunftsland erworbenen Kompetenzen in Deutschland einbringen. Diese Karrieren und Chancen sind individuelle Erfolgsgeschichten. Gleichzeitig bereichern sie unsere Gesellschaft und leisten einen wesentlichen Beitrag zur Fachkräftesicherung.
Deshalb zieht sich das Thema „Potenziale fördern – Fachkräfte gewinnen“ wie ein roter Faden durch die 25 Foren; einige Beispiele:
„Deutschland braucht Zuwanderer – Zuwanderer brauchen Integration“ (2005)
„Nachholende und aktivierende Integrationspolitik“ (2006)
„Konzepte für nachholende Integrationsförderung“ (2007)
„Fachkräftemangel und Migration“ (2011)
„Auf dem Weg zur Teilhabegesellschaft“ (2013)
„Integration durch Bildung“ (2016)
„Arbeitsmarktintegration und Fachkräftesicherung – ohne Migrantinnen und Migranten geht nichts mehr“ (2022).
Themen und Referenten alle Foren
Quelle: Reich, Hans H.: „Forum Migration“: Vermessungen des Arbeitsfeldes, Darstellungen exemplarischer Praxis, kommunikative Reflexion; S. 209-245; in: Integration stiften! 50 Jahre OBS-Engagement für Qualifikation und Partizipation; hrsg. v. Krüger-Potratz, Marianne; V&R unipress 2015.